Freitag, 14. August 2015

Sakura Yuki – Kirschblüten Schnee

Beim Ausmisten meines Smartphones fiel mir soeben das Bild in die Hände, welches ich bei meinem ersten Besuch in Maastricht/Netherlands schoss:

(Ja, das war an dem Tag, an dem ich mich mit der netten Recruiterin traf und fortan mit supertollen Kollegen für adidas arbeitete. Ihr seid großartig! <3 )

Was hat mein erster Besuch in den Niederlanden nun mit Japan zu tun?!
Während im Jahre 2011 Japan und Deutschland gerade einmal 150 Jahre Freundschaft feierten, ist die Beziehung zwischen Japan und Holland ein ganzes Stück älter. Nur den Niederländern war der Handel mit Japan während der nach 1639 (fast zwei Jahrhunderte währenden) totalen Abschottung des Inselstaates erlaubt; in einem kleinen, ebenfalls hermetisch abgeriegelten Bereich im Hafen Nagasaki's war die Niederländische-Ostindien-Kompanie der Mittelsmann jeglichen Handels mit Europa.
Hat diese Geschichtsstunde was mit dem Bild zu tun?
Nein – glaub ich nicht.
Es sei denn, jemand kann mir eine Informationen zukommen lassen, warum der Maastrichter Hbf mit so irre vielen Kirschbäumen bepflanzt wurde
– also vielleicht.

Nein, das Bild erinnerte mich gerade eben nur spontan an eine ganz andere Begebenheit und die einzige Gemeinsamkeit ist tatsächlich die Sakura – die Kirschblüte. Sie ist der elementare Teil, der Erinnerung, die es wert ist sie mit Euch zu teilen... denn es handelt sich um eine meiner Schönsten!


Es ist viele, viele Jahre her. Damals war es schon recht frühlingshaft geworden, aber plötzlich fielen wieder Eiskristalle.
Ich war bei einem Kumpel zu Besuch mit dem ich damals viel Zeit verbrachte.
Es war (auf erschreckende Art) wie immer...

Die immer gleichen Gespräche, der ewig gleiche Wein, das gleiche Filme-schauen und das gleiche nebenbei Essen. Schrecklich einlullende Ödniss... der göttlich inszenierte Schockkontrast.

Laaaaaaangweilig! Wir brauchten mehr Wein.

Ich war in der Winzbude schon wie zu Haus, schnappte mir den Schlüssel, der zwischen dem Schmutzgeschirr lag und verließ das Verlies.

Ging durch die altbackene Tür auf die graue Straße, ging das Grau hundert Meter hinab, zum heruntergekommenen Discounter an der schmuddeligen Ecke und kaufte das blutige Schmerzmittel.

Ich war zu Tode betrübt und angeödet ohne Ende – von allem.
Einen Fuß langsam vor den Anderen ziehend, so gerade mal noch schlurfend, immer langsamer werdend.

Ich wollte gar nicht zurück, ich wollte nirgendwo hin.

Noch langsamer und blieb stehen.
Einfach so blieb ich da, wo ich halt gerade war. Ich hatte kein Ziel mehr.

Ich schaute mich um, aber nicht mal mehr verzweifelt, sonder einfach nur desinteressiert - in allem. Es wäre mir nicht einmal mehr peinlich gewesen, hätte mich leer-vollen Zombie da Jemand mitten im Weg stehen sehen, aber die Straße – nein, ich schwöre: die ganze Welt – war menschenleer in diesem Moment.

Kein Wunder. Es war kalt. Eiskalt.. klirrend und ich stand da und fühlte es nicht, fühlte nichts; ich stand da rum in meinem T-Shirt.

Ein scharfer Windstoß schnitt mir das Leder; meine dicke Haut hing in Fetzen und ich war schmerzhaft lebendig.
Die eiskalte Luft brauste über den kalten Stein unter mir und kämmte die Baumwipfeln über mir und das zehntausendfache Rauschen der feinen Blätter, gefühlt das erste vernommene Geräusch nach Jahrzehnten der Taubheit, ließ mich erschaudern und ich blickte nach oben.

Der Himmel über mir war rosa.

Der ganztägige Graupel, absolute Mitte zwischen Kalt-Regen und Nass-Schnee, perfekte Tristesse und grau, hatte sich von mir unbemerkt mit wallend-weißen Kleidern ausstaffiert. Es fing an zu schneien.
Und sie tanzten. Tausende tanzende Schneeflocken, sie drehten sich schwungvoll in kreisenden Spiralen, andere schaukelten im zick-zack, langsam und schnell, gleichmäßig und wirr. Jede auf ihre Weise...

Einzigartig und wunderschön und vergänglich.

Das Herz wurde mir schwer. Wenn man Sekunden vorher noch tot war, tut so viel Schönheit (unbeschreiblich) weh.

Und dennoch, ich konnte dem Herzensdrang nicht widerstehen, fester in die Klinge zu greifen; mir mit hungrigen Augen eine einzelne, meinem Blick sympathische Schneeflocke auszuerkiesen und ihren Tanz ― in Richtung Abgrund zum bald bevorstehenden, sicheren Tod auf den klammen Stein ― genau zu verfolgen.

Ich wusste genau um die Sinnlosigkeit, aber: ich musste sie auffangen!
Sie starb in meiner Hand.

Und noch eine und noch eine und noch eine, eine, eine, eine, eine, eine, eine...
Lieben - verlieren - wieder lieben - schon wieder verlieren - zaghaft lieben - angsterfüllt verlieren - trotzig nochmal lieben - wütend verlieren - unverbesserlich lieben - fast routiniert verlieren - - -
Jede neue Flocke, jede neue Trauer machte das Herz ein Grad kälter und wie bei kalten Händen kriegt man ein taubes Gefühl und fühlt nicht mehr so viel.
Der Schmerz ist jedes einzelne Mal da, man spürt ihn nur weniger.
Jede von Ihnen war nur einen Wimpernschlag später nicht viel mehr als eine halbe Träne.

Und eben wie ein heftiges Schluchzen rauschte die nächste heftige Böe durch den rosa Himmel und der auf mich fallende Schnee funkelte von rosa & rot.

Ihr müsst wissen, die Kirschblüten in der hässlichen Allee haben keine einfache, doofe, glatte Rosafärbung.
Sie sind reines Weiß.. mit vielen winzig kleinen, roten Sprenkeln.
Sie sind seidige kleine Japanflaggen, geschmeidig schwirrende Koi-Karpfen, winzige Blutsstropfen im Schnee.
Sie sind: Einzigartig und wunderschön und vergänglich.

Ich blieb weiterhin stehen, denn ich war ziellos. Aber nur kurz und jetzt war es okay. Ich war ja schon da, wo ich für den Moment sein sollte.

Auf meiner Haut sammelten sich weiter halbe Tränen, aber die Hälfte der Schneeflocken blieben nun als Kirschblüten seidig in meiner Hand liegen.

Ich schloss behutsam für einen Augenblick meine Hand, bevor ich sie schließlich fallen ließ.


Ich bleibe auch noch ein wenig.








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